By Wolfgang Keller
Originally written 2018-06-03
Last modified 2022-08-01
Originally written 2018-06-03
Last modified 2019-04-04
(ehemals eigener Artikel)
Es ist eine von vielen Arbeitgebern praktizierte Unsitte, in Stellenanzeigen keine Gehaltsangabe zu veröffentlichen. Dabei hat diese Angabe nicht nur eine rein pekuniäre Bedeutung, sondern dient auch als klarer Hinweis, wie hoch das Qualifikationsniveau ist, welches der Arbeitgeber von Bewerbern auf diese Stelle verlangt. Dieses Signal ist besonders im Informatik-Bereich von unschätzbarer Bedeutung, da sich die Produktivität von unterschiedlichen Software-Entwicklern immens unterscheiden kann; vgl. hierzu den Begriff des „10x programmers“ (siehe beispielsweise http://antirez.com/news/112 [visited 2018-06-03T20:08:02Z]) aus der Programmier-Folklore. Ob es solche „10x programmers“ tatsächlich gibt, ist ein kontroverses Thema, zu dem ich bewusst keine Stellung nehmen will. Jedoch betrachte ich die Tatsache, dass es überhaupt zur Entstehung einer solchen Folklore kommen konnte, durchaus als starkes Indiz, dass in der Tat die Produktivität zwischen unterschiedlichen Software-Entwicklern sich sehr stark unterscheidet. Dementsprechend ist es von enormer Wichtigkeit, durch das Angeben des Gehaltes zu signalisieren, welches das erwartete Qualifikationsniveau ist.
Auch liefern Gehaltsinformationen ein sehr bedeutsames Signal über die Erwartungshaltung des Arbeitgebers an den (zukünftigen) Mitarbeiter, beispielsweise in Bezug auf selbständige Weiterbildung in der Freizeit.
Das Weglassen der Gehaltsinformation bedeutet ebenso durch die Blume, dass der Arbeitgeber Bewerbern skeptisch gegenübersteht, die wenig Lust auf (Gehalts-)Verhandlungen haben. Angesichts des immer wieder in den Medien postulierten Fachkräftemangels ist es für mich schon aus rein wirtschaftlichen Gründen (größere Auswahl an potentiellen Mitarbeitern) schwer nachzuvollziehen, wie man eine solche große Gruppe von Menschen explizit als „als Bewerber wohl eher unerwünscht“ deklarieren kann.
Dafür, dass nicht nur ich, sondern zahlreiche Menschen in informatiknahen Bereichen dies so sehen, mögen folgende Forenbeiträge im Heise- und Golem-Forum als Indikator dienen:
Daher: Es ist ein Unding, durch Weglassen von Gehaltsangaben Bewerber enorme Opportunitätskosten für die Bewerbung auf eine Stelle verschwenden zu lassen, nur um dann in der finalen Phase kurz vor Vertragsunterzeichung festzustellen, dass die Gehaltsvorstellungen von beiden Seiten zu weit auseinander liegen. Aus fast identischen Gründen (Personalkosten für Sichtung der Bewerbungen, Bewerbungsgespräche, …) sollte sich das eigentlich auch kein wirtschaftlich denkender Arbeitgeber leisten können.
Update from 2018-12-30: Auf heise online fand ich folgenden Artikel von 2018-12-13: Fachkräftemangel: 82.000 offene Stellen für IT-Fachkräfte [visited 2018-12-30T11:56:34Z]. Ich zitiere den Anfang:
„Fachkräftemangel: 82.000 offene Stellen für IT-Fachkräfte
Zu den Ursachen der aktuellen Situation gehören nicht allein fehlende Qualifikationen der Bewerber, sondern laut Bitkom auch deren Gehaltsforderungen.“
Dazu kann ich nur sagen: Wenn ihr, liebe Arbeitgeber, keine Gehaltsinformationen in die Stellenanzeigen schreibt, um für ein euch gelegenes Anchoring (englische Wikipedia [visited 2018-12-30T19:42:04Z], deutsche Wikipedia [visited 2018-12-30T19:42:13Z]) zu sorgen, dann werden Bewerber natürlich mit Gehaltsforderungen kommen, die in vielen Fällen sicherlich ihrem Qualifikationsniveau angemessen sind, aber weit oberhalb von dem liegen, was der Arbeitgeber bereit ist, zu zahlen. Auch werden sich, ganz wie ich es oben beschrieben habe, auf solche Stellenanzeigen bevorzugt Leute bewerben, die „gerne verhandeln“, was gewiss zu deutlich „kühneren“ Gehaltswünschen führt.
Kurzum: Ein weiterer Grund, wie sich Arbeitgeber durch das Weglassen von Gehaltsinformationen ins eigene Knie schießen.
Originally written 2020-05-17
Eine weitere Unsitte in Stellenanzeigen ist es, nach „Experten für …“ zu suchen, wenn in Wirklichkeit nach „Fans von …“ gesucht wird.
Da der vorhergehende Absatz wohl reichlich konfus klingt, ist es am besten, zwei Beispiele zu geben; danach sollte klar sein, was ich damit meine.
Eine Firma behauptet in der Stellenanzeige, nach einem Experten für Kryptowährungen beziehungsweise Blockchain-Technologien zu suchen.
Eine Person, die sich intensiv mit diesem Thema beschäftigt hat, aber zum Schluss kommt, dass diese (in den bisher existierenden Formen) eine ziemlich schlechte Idee sind, hat sicherlich viel Ahnung von besagtem Themenbereich, ist aber gewiss nicht der Typ von Experte, der in besagter Stellenanzeige gesucht wird.
Auf der anderen Seite: Ein „Kryptowährungs-Fan“, der außerdem ein paar Fetzen von Halbwissen über die Grundideen hinter Blockchains irgendwo aufgeschnappt hat, hätte bei einer solchen Stellenausschreibung realistische Chancen, eingestellt zu werden.
Eine Firma behauptet in der Stellenanzeige, nach einem Experten für AI/Deep Learning/Machine Learning zu suchen.
Damit ist aber nicht jemand gemeint, der sich intensiv mit den Algorithmen beschäftigt hat und ganz klar sagen kann, dass viele Klassen solcher Algorithmen Ergebnisse liefern, die im Allgemeinen nicht oder kaum in einer unabhängigen Prüfung nachvollzogen werden können. Eine solche Person wird nämlich seriös sagen, dass sich aus diesem Grund solche Algorithmen nur für sehr spezielle Anwendungen eignen, wo besagte massive Einschränkung nicht von Relevanz ist.
Stattdessen meint die Stellenanzeige wohl eher einen „Fan von AI/Deep Learning/Machine Learning“, also eine Person, die die existierenden Bibliotheken toll findet und damit etwas, was auf den ersten Blick plausible Ergebnisse liefert, „zusammenwurschteln“ kann.